Einige Gedanken & Thesen zur "Emotionalen Intelligenz / Kompetenz"

  • Emotionale Intelligenz ist ein Sammelbegriff für Persönlichkeitseigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, welche den Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen betreffen.
  • Nach Prof. Howard Gardner schließt die Einbeziehung der emotionalen Intelligenz eine Lücke, die in der klassischen Intelligenzforschung übersehen worden ist: Die Verarbeitung von inter- und intrapersonellen Informationen, also den bewussten Umgang mit der Kommunikation zwischen Menschen und des Menschen mit sich selbst.
  • Der Begriff "Emotionale Intelligenz" ist durch das gleichnamige Buch des amerikanischen Psychologen Daniel Goleman (1996) populär geworden. Goleman sieht die emotionale Intelligenz als eine übergeordnete Fähigkeit, von der es abhängt, wie gut Menschen ihre sonstigen Fähigkeiten, darunter auch den Verstand, zu nutzen verstehen.
  • Nach Goleman setzt sich emotionale Intelligenz aus fünf Teilkonstrukten zusammen:
a) Selbstbewusstheit: Fähigkeit eines Menschen, seine Stimmungen, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, zu verstehen und zu akzeptieren, und deren Wirkung auf andere einzuschätzen
b) Selbstmotivation: Begeisterungsfähigkeit, sich selbst unabhängig von finanziellen Anreizen oder Status anfeuern zu können
c) Selbststeuerung: Planvolles Handeln in Bezug auf Zeit und Ressourcen
d) Soziale Kompetenz: Fähigkeit, Kontakte zu knüpfen und tragfähige Beziehungen aufzubauen, gutes Beziehungsmanagement und Netzwerkpflege
e) Empathie: Fähigkeit, emotionale Befindlichkeiten anderer Menschen zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren
  • Nicht das bloße Vorhandensein von Gefühlen, Emotionen, Stimmungen und Affekten, sondern der bewusste Umgang mit ihnen macht eine hohe emotionale Intelligenz aus. Darüber hinaus zählen hierzu Eigenschaften wie Vertrauenswürdigkeit und Innovationsfreude oder die Motivationsfähigkeit und das Vermögen, Gefühle und Bedürfnisse anderer wahrzunehmen. Dabei werden Befähigungen wie Teamführung, Selbstvertrauen, die Fähigkeit, sich selbst und andere aufzubauen sowie politisches Bewusstsein betrachtet. Goleman verwendet den Begriff "Emotionale Intelligenz" also für eine Vielzahl von Konstrukten, die nur bedingt als eine Einheit angesehen werden können.
  • Salovey und Mayer, die 1989 den Begriff "Emotionale Intelligenz" eingeführt haben, bieten in ihrem Modell vier Bereiche an:
a) Wahrnehmung und Emotionen: Fähigkeit, Emotionen in Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimme anderer Personen wahrzunehmen
b) Verwendung von Emotionen zur Unterstützung des Denkens: Wissen über die Zusammenhänge zwischen Emotionen und Gedanken, welches z.B. zum Problemlösen eingesetzt wird
c) Verstehen von Emotionen: Fähigkeit, Emotionen zu analysieren, die Veränderbarkeit von Emotionen einzuschätzen und die Konsequenzen derselben zu verstehen
d) Umgang mit Emotionen: auf Basis der Ziele, des Selbstbildes und des sozialen Bewusstseins, beinhaltet z.B. die Fähigkeiten Gefühle zu vermeiden oder gefühlsmäßige Bewertungen zu korrigieren
  • Mayer, Salovey und Caruso haben 2002 einen Test zur Messung der Emotionalen Intelligenz entwickelt, welcher dem Konzept herkömmlicher Leistungstest folgt. Der MSCEIT (Mayer- Sylovey- Caruso Emotionale Intelligence Test) misst jeden der vier Bereiche des Modells mit je zwei Untertests.
  • Kritik am Konzept der emotionalen Intelligenz oder deren Aussagekraft über die berufliche Eignung wird durch eine Studie des israelischen Psychologen Moshe Zeidner und seines australischen Kollegen Richard D. Roberts laut. Die Untersuchung, welche unter anderem auch viele bisherige Studien zur emotionalen Intelligenz mit einbezog, konnte beispielsweise unter 224 britischen Managern keinen nennenswerten Zusammenhang zwischen emotionaler Intelligenz und den beruflichen Fähigkeiten der Probanden nachweisen. Zeidner und Roberts halten deshalb die emotionale Intelligenz eines Bewerbers für ein ungeeignetes Auswahlkriterium.
  • Nach Goleman handelt es sich bei der emotionalen Intelligenz um "die Fähigkeit, unsere eigenen Gefühle und die anderer zu erkennen, uns selbst zu motivieren und gut mit Emotionen in uns selbst und in unseren Beziehungen umzugehen." Nach diesem Konzept zeigen neue Analysen deutlicher als bisher, dass Werturteile und Bewertungen, die auf originären Werterfahrungen beruhen, letztlich immer durch das Angenehm- und Unangenehmsein des Fühlens im Zusammenspiel mit anderen Erfahrungen (Sinneserfahrungen, Empfindungen, Denken) bedingt sind.
  • Aus der Begründung des Wertebegriffs leitet sich ab, dass emotionale Intelligenz jene Fähigkeit ist, die "Negativität im weitesten Sinne" vermindert und Positivität fördert, soweit diese tatsächlich erreichbar ist.
  • Dabei beinhaltet das genaue Verhältnis von Wert, Unwert, Werturteilen, Werterfahrungen, Gefühlen und Lebenssinn innerhalb des emotionalen Systems der Gesellschaften und Kulturen eine komplexe Logik, die nicht auf der Hand liegt, sondern die sich, wie Versuche zeigen, jeder Enzelne erst durch Einsichten aneignet, die in unserer Kultur noch wenig verfügbar sind.
  • Emotionale Intelligenz und Soziale Kompetenz ergänzen sich in dem Maße, als es darum geht, mit eigenen und fremden Gefühlsinhalten zum jeweils definierten Nutzen und Wohle aller Beteiligten umzugehen. Und zwar innerhalb des emotionalen Systems am effektivsten, wenn dabei für alle Seiten dauerhafte, zuverlässige und für die Beteiligten nützliche, angenehme, freudvolle und produktive Beziehungen erreicht werden.
Literatur:
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